"Gebt uns unsere Freiheit zurück" - Eine kurdische Familie im Kirchenasyl
Eine Intimsphäre gibt es nicht. Zwei große Schränke behindern die Sicht auf die sechs Betten im hinteren Teil des düster wirkenden Gottesdienstraums. Doch hören kann man alles. Seit gut acht Wochen lebt die kurdische Familie Manaz bei den Altkatholiken in Krefeld im Kirchenasyl. Acht Wochen lang Zittern, wenn ein Polizeiwagen vorbei fährt. Acht Wochen lang Freiheit zwischen Balkongeländer und Eingangstür. „Ausgang“ gibt es nur für einen, denn die anderen fünf müssen in der Kirche bleiben. Ein Ende dieser Situation ist vorerst nicht abzusehen.
Nicht nur die örtliche Presse engagiert sich stark in diesem Fall, auch Menschenrechtsgruppen, die „Grünen“, die Altkatholiken, andere Kirchen und - die Freie evangelische Gemeinde Krefeld. „Stürmen sie oder stürmen sie nicht“, fragt sich Pastor Siegfried Ochs Tag für Tag. „Schließlich ging und geht es hier um eine Machtfrage: Wer gewinnt, der Staat oder die Kirche?“
Der Fall Manaz schlägt hohe Wellen. Denn diese Familie lebt seit fast zwölf Jahren in Deutschland. Damals reiste das Ehepaar mit ihren drei kleinen Kindern als verfolgte Kurden aus der Türkei aus. Zunächst in die Schweiz, wo der Vater einen Asylantrag stellte. „Davon hat er uns nichts erzählt“, sagt Sevgi, die Zweitälteste. Auch nicht davon, dass der Antrag abgewiesen wurde. „Wir durften nur in der Schweiz bleiben, weil unsere Mutter mit Besey schwanger war. Nach der Geburt, also 1988, sind wir nach Krefeld gekommen.“ Dort stellte der Vater noch einen Asylantrag. Das Verfahren lief, blieb anhängig, die Familie lebte von Sozialhilfe. Zwei Jahre später wurde Hüseyin, der einzige Sohn, in Krefeld geboren.
Obwohl die Kinder quasi auf der Straße lebten, gingen sie normal zur Schule und hatten ihre Freunde. „Wir haben die fünf 1995 kennen gelernt“, berichtet Siegfried Ochs. „Unsere Gemeinde liegt in einem Stadtteil mit hohem Ausländeranteil. 1995 haben wir ein Hof- und Straßenfest gemacht. Daraus erwuchs eine Kids-Arbeit, die sich auch um die Straßenkinder in unserem Viertel kümmert. Wir kennen sie alle. Elif, die Mittlere, hat hei uns am Biblischen Unterricht teilgenommen und sich bekehrt. Hüseyin, der Jüngste, hat in einem unserer besonderen Gottesdienste eine Entscheidung für Jesus getroffen. Alle, auch die Mutter, sind bei uns voll integriert und haben sogar bei den besonderen Gottesdiensten mitgearbeitet.“
Der Vater wollte von all dem nichts wissen. 1999 hielt die Mutter seine Gewalttätigkeit nicht mehr aus und ließ sich scheiden. Auch, um ihre Kinder vor ihrem Vater zu schützen. Und plötzlich war das Asylverfahren wieder aktuell. In der Gerichtsverhandlung im Oktober 1999 nahm der Vater ohne Wissen der restlichen Familie den Asylantrag zurück und erklärte, mit seiner Familie in die Türkei zurück zu wollen. „Er wollte uns nur damit schaden, sonst nichts“, sagt Sevgi. „Wir wollen auf keinen Fall zurück. Meine Mutter sagt immer, dass es für uns Kurden in der Türkei nicht sicher ist. Und wir Kinder sind zum Teil hier geboren. Wir können uns doch in der Türkei gar nicht mehr einleben.“
Hinzu kommt die rechtlose Situation einer geschiedenen Frau mit vier Töchtern in der Türkei. Den Behörden war das gleich. Der Vater saß wegen verschiedener Delikte in Haft. Das und der zurückgenommen Asylantrag reichten, um Sultan Manaz mit ihren fünf Kindern im Alter von 17, 16, 14, 11 und 9 Jahren im November 1999 abzuschieben. Der Widerspruch hiergegen war erfolglos, Klage wurde eingereicht. Dies half jedoch nicht, die Familie in Deutschland zu halten. Es gab also keinen anderen Ausweg als unterzutauchen und Kirchenasyl in Anspruch zu nehmen.
Die Stadtverwaltung bleibt stur und fühlt sich im Recht. „Wir haben in der FeG nach Lösungen gesucht. Zehn Mitglieder waren bereit, jeweils für ein Jahr für 10 000 Mark einzustehen“, berichtet Siegfried Ochs. „Das heißt, wir hätten quasi eine Bürgschaft von 100 000 Mark übernommen. Aber die Stadt hat darüber noch nicht einmal diskutiert.“ Gemeinden, die in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen und in der Evangelischen Allianz vor Ort zusammengeschlossen sind, sitzen regelmäßig mit den Behördenvertretern an einem runden Tisch, um über eine humanitäre Lösungen zu sprechen. Bislang ergebnislos. Um die finanzielle Situation etwas zu entspannen, hat die Allianz bei der SKB Witten ein Spendenkonto für die Familie Manaz eingerichtet.
„Wir haben Angst, dass die Kirche gestürmt wird und sie uns rausholen. Wir haben auch Angst vor unserem Vater. Wer weiß, was der uns antut, wenn er uns in die Finger kriegt“, sagt Sevgi. „Dieser Fall belastet unsere Gemeinde sehr“, sagt Pastor Siegfried Ochs. „Wir beten, dass die Familie das aushält. Bislang haben die Kinder ja nur auf der Straße gelebt, jetzt sind sie in der Kirche eingepfercht. Aus der FeG haben fünf Familien Patenschaften übernommen.
Sie kümmern sich um je ein Manaz-Kind, das im Alter der eigenen Kinder ist. Meine Frau Ille kümmert sich um Sultan, die Mutter.“ Und die Gemeinde betet. dass die Familie Manaz bald die Kirche verlassen kann, um wieder frei zu sein. „Dann feiern wir ein großes Fest“, sagt Sevgi.
Silke Janssen
CHRISTSEIN HEUTE Nr. 18 vom 27. August 2000