Die heutige Predigt ist der Auftakt einer neuen 14teiligen Predigtreihe „Segen und Freiheit“. In dieser Predigtreihe werde ich jeweils im Wechsel auf einen Aspekt des „Grundlagenpapier des Ältestenkreises über die Werte unser Gemeinde“ und auf das Buch von Stavemann „Im Gefühlsdschungel“ eingehen.
Dabei werden die Werte (Gebet, Bibellesen, Gemeinschaft, usw.) jeweils unter dem Stichwort „Segen“ betrachtet. Das Buch des Verhaltenstherapeuten Stavemann wird unter dem Stichwort „Freiheit“ behandelt.
Folie: Grundlagen unserer Gemeinde
Die Gemeinde hat als höchstes Ziel, dass wir als Gesamtgemeinde und als Einzelne eine intensive Beziehung zu Gott haben. Beziehung ist kein Gefühl und hängt auch nicht von Gefühlen ab, sondern entsteht durch bewusstes Handeln.
Die Handlungen, die die Beziehung zu Gott stärken, sind Gebet, Bibellesen und aktives Gemeindeleben. Deshalb wollen wir für uns als Gemeinde folgende Werte verbindlich vereinbaren:
Jeder Einzelne und die Gemeinde als Ganzes betet regelmäßig
Es geht beim Beten nicht um eine „Leistung“, eine Forderung oder gar um das Abarbeiten eines Katalogs, das uns zu richtigen oder besseren Christen macht. Beten ist keine Leistung, sondern ein Segen!
Das Sprichwort hat recht, wenn es sagt: „An Gottes Segen ist alles gelegen!“
Segen:
- können wir nicht machen!
- ist nicht von uns abhängig!
- liegt außerhalb unserer Möglichkeiten
So können wir nur beten, weil Gott ist, weil Gott für uns ist, weil wir uns seit Jesus in und durch Jesus Christus dem heiligen Gott nahen können.
Johannes 4, Vers 24 (Einheitsübersetzung): Gott ist Geist, und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten.
Das bedeutet Beten: Im Geist Jesu Christi und ganz wahrhaftig, offen, ehrlich und ungeschminkt.
Richard Rohr merkt in seinem neuesten Buch „Vom Glanz des Unscheinbaren“ an:
Gott ist hoffnungslos darin verloren, an uns zu denken. Das Einzige, was wir tun können, ist, nackt und selbstvergessen zu warten und dafür bereit zu sein, dass er uns liebt, Unsere größte Versuchung besteht darin, uns mit Rollen, Kontrollen und Erfolgen und befriedigenden Erklärungen zuzudecken. Unser Geist ist im Stande, sich auf tausenderlei Weise gegen seine Ängste und seine Leere abzuschirmen.Aber Beten heißt, in die Welt eines Liebhabers einzutreten, wo es keiner Bestätigung oder Verleugnung bedarf, nicht des Richters und nicht des Rechtfertigens.
© Richard Rohr, Vom Glanz des Unscheinbaren, Seite 81
Im Geist und in der Wahrheit dürfen, ja müssen wir laut Jesus beten: Im Geist Jesu Christi und eben ganz wahrhaftig, offen und schonungslos ehrlich.
Der Frau, der Jesus dieses Wort sagte, musste und durfte sich damit ihrer wechselhaften sexuellen Beziehungen stellen.
Johannes 4, Vers 17b bis 18 (Einheitsübersetzung): Jesus sagte zu ihr: Du hast richtig gesagt: Ich habe keinen Mann. Denn fünf Männer hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann. Damit hast du die Wahrheit gesagt.Vor Gott wahr werden können, befreit zum Leben. Am Ende wird die Frau aus ihrer selbstgewählten Einsamkeit zu den Menschen gehen und ihnen sagen,
Johannes 4, Vers 29 (Einheitsübersetzung): Kommt her, seht, da ist ein Mann, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe: Ist er vielleicht der Messias?Wir brauchen – ja wir können – uns vor Gott nicht verstellen. Weil wir von ihm ganz und gar durchschaut sind. So können wir die Rollenspiele aufgeben und im Gebet einfach vor Gott und bei Gott sein. Sein, wie wir gerade sind. Nicht so, wie wir gerne wären. Auch nicht so, wie andere uns gerne hätten. Sondern in der Wahrheit unseres Seins. So wie wir wirklich sind und das ohne Angst, ohne schlechtes Gewissen und ohne uns rechtfertigen zu müssen. Denn wir sind Gottes über alles geliebte Kinder.
Wenn Christen beten, ist das nichts besonderes, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Beten gehört zu einem Christen, wie Atmen zum Menschen gehört. Wenn wir aufhören zu atmen, sind wir tot. Wenn Christen aufhören zu beten, ist ihr geistliches Leben zu Ende. Unsere Gottesbeziehung steht und fällt mit unserem Gebetsleben. Beten ist Ausdruck meiner Christusbeziehung. Genauso wie unsere menschlichen Beziehungen in unseren Ehen, Familien und Freundschaften vom gemeinsamen Gespräch leben, lebt unsere Christusbeziehung von unserem Gebet.
Nicht umsonst vergleicht die Bibel im Alten und Neuen Testament die Beziehung zwischen Gott und den Menschen immer wieder mit der ganzheitlichen Begegnung zwischen Mann und Frau in der Ehe.
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Eine Beziehung braucht Zeit-
Eine Beziehung braucht ein Sich-Öffnen der Partner-
Eine Beziehung braucht ungeteilte Zuwendung-
Eine Beziehung braucht Reden und Zuhören-
Eine Beziehung braucht ganzen Einsatz für den anderen-
Eine Beziehung braucht Treue© Manfred Beutel, Leidenschaft einüben, Seite 15 - 16
Gebet lebt daneben von der „Aktion“ und der „Kontemplation“. Die Benediktiner haben davon gesprochen, dass Beten und Arbeiten zusammengehört „Ora et labora“ – bete und arbeite!
Richard Rohr, der Franziskaner merkt dazu an:
Wenn ich Jesus einfach konsumiere, nehme ich wahrscheinlich auch allen anderen Dingen gegenüber die Konsumentenhaltung ein und bediene mich ihrer, um mein Ich zu bestätigen. Begegne ich dagegen Jesus und räume ihm Platz ein, so bin ich auch fähig, allen anderen Menschen und Ereignissen zu begegnen und ihnen Platz einzuräumen.
© Richard Rohr, Vom Glanz des Unscheinbaren, Seite 58
Aktion und Kontemplation sind die beiden Pole, die das vom Glauben inspirierte Leben steuern und im Gleichgewicht halten. Mich macht es traurig, dass die Christenheit weithin genau das Mittelmaß einhält. Man findet kaum radikale Innerlichkeit und auch kaum radikalen Einsatz. Aber in der lauen Mittelmäßigkeit kann man kaum etwas lernen und dort hat man auch kaum etwas zu geben.
© Richard Rohr, Vom Glanz des Unscheinbaren, Seite 68
Es gibt keine wirksamere Möglichkeit, vor Gott davonzulaufen, als die, im Übermaß fromm zu sein und sich in religiöse und heilige Dinge um ihrer selbst willen zu vergraben.
Achten Sie darauf, dass Sie sich regelmäßig zurückziehen und allein für sich über ihren Weg nachdenken und beten; aber achten Sie genauso darauf, dass Sie sich irgendwo konkret engagieren und einmischen. Ihre Spiritualität Fleisch werden lassen und etwas Sicht- und Greifbares tun.
© Richard Rohr, Vom Glanz des Unscheinbaren, Seite 76
Vor zehn Jahren erschien in der Materialsammlung für Jugendarbeit im Bund Freier evangelischer Gemeinden das 186 Seiten starke Heft „Atemholen“. Dieses Heft ist für 3 Euro nach wie vor erhältlich. In diesem Heft geht es um das geistliche Leben. Der damalige Jugendpfleger Harald Peil schreibt im Vorwort:
Dass diese Jahresaufgabe zu einer echten Aufgabe über Jahre für mich wurde, hing eng mit dem Thema zusammen. Ich hatte meinen Lebensrhythmus verloren, ich hatte gearbeitet, gegeben und geleistet – und vergessen zu atmen. Meine Augen sahen zu viel Notwendigkeiten und Bedürftigkeiten, meine Seele wurde belastet mit Strukturproblemen und Proporzdenken, mein Herz weinte über zerbrochene Ehen, ausgebrannte Mitarbeiter, verkrustete Formen und leblose Gemeinden, in denen junge Leute kein Zuhause finden. Jetzt bin ich dabei, meinen Rhythmus wieder zu finden, um nicht noch einmal eine Zwangspause einlegen zu müssen, wie ich es erlebte.© Die Jahresaufgabe 97 „Atemholen“, Seite 7
Verstehen wir: Es gehört zusammen Aktion und Kontemplation. Arbeiten und Beten. Wer nur eines tut, wird auf jeden Fall heillos scheitern. Beten ist das Atemholen der Seele.
Nun gibt es einen gravierenden Unterschied zwischen dem persönlichem und dem gemeinschaftlichem Gebet.
Im persönlichen Gebet kann ich in der „Ich-Form“ beten. Im gemeinschaftlichen Gebet sollte ich die „Wir-Form“ wählen, wenn ich die Gemeinschaft nicht für mich selbst missbrauchen will.
Im persönlichen Gebet kann ich mich mit allem, was mich betrifft zur Sprache bringen. Im gemeinschaftlichen Gebet bin ich Teil einer Gemeinschaft und nicht der Dreh- und Angelpunkt der Gruppe. Ich darf mich einbringen. Aber ich muss es lernen, mich zurückzunehmen, damit andere zu Wort kommen, auch im gemeinsamen Gebet der Gruppe.
Daneben besteht im gemeinschaftlichen Gebet immer wieder die Gefahr, dass ich das Gebet missbrauche, um den anderen betend meine Meinung zu sagen.
Jesus hat uns eindeutige Aussagen und Verheißungen für das einsame und das gemeinsame Gebet gegeben.
Matthäus 6, Vers 6 (Einheitsübersetzung): Du aber geh in deine Kammer, wenn du betest, und schließ die Tür zu; dann bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist. Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.
Allein mit Jesus darf ich mich mit allem, was mich betrifft, was ich denke, fühle, was mich bewegt, erfreut und ängstigt, zum Thema machen.
Gemeinsam mit anderen kann ich es lernen, über mich hinaus zu sehen und zu entdecken, was uns als Gruppe, Kreis oder Gemeinde betrifft, dort wo wir leben und arbeiten. Gemeinsam mit anderen kann ich unsere Stadt, unser Land und unsere Welt zum Gebetsanliegen machen.
Das Vaterunser kann man nicht alleine beten. Mit dem Vaterunser kann man gemeinsam das Beten lernen.
Dem gemeinsamen Gebet gilt die Verheißung,
Matthäus 18, Vers 19 – 20 (Einheitsübersetzung): Weiter sage ich euch: Alles, was zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.Genauso wie es ist ein Riesenunterschied ist, ob ich mit meiner Frau oder mit dem Tankwart spreche, ist das persönliche und private Gebet von dem gemeinsamen und gottesdienstlichem Gebet zu unterscheiden. Für mich alleine darf – ja muss ich sogar – in der „Ich-Form“ beten und darf mein Herz ausschütten, geradezu „nackt“ vor Gott erscheinen. In der Gemeinschaft und vor allem im Gottesdienst gilt die „Wir-Form“ und ich trage das uns verbindende Anliegen mit meinen anwesenden Schwestern und Brüdern gemeinsam im Gebet vor Gott.
Dabei gilt, was Bonhoeffer gesagt hat:
Wer nicht allein sein kann, der hüte sich vor der Gemeinschaft. Wer nicht in der Gemeinschaft steht, der hüte sich vor dem Alleinsein.© Dietrich Bonhoeffer, Gemeinsames Leben, Seite 65
Wir brauchen beides: das einsame und das gemeinsame Gebet, das private persönliche Gespräch mit unserem Vater im Himmel und das gemeinsame gemeinschaftliche Gespräch mit dem real gegenwärtigen Christus.
Es gibt die unterschiedlichsten Gebetsformen. In Witten bekam ich diesen Gebetstoaster geschenkt: ein Renner im Bundesverlag, der das Tischgebet revolutioniert.
Für hilfreicher halte ich da schon eher das „Gebetshaus“, das ich in der Jahresaufgabe 97 unseres Bundes gefunden habe und das noch älter ist und aus dem Jahr 1982 und der Mitarbeiterhilfe des CVJM stammt.
Zum Schluss ganz kurz, wann, wo und wie wir beten können.
Auf diese Fragen gibt es jeweils eine eindeutige biblische Antwort. Wann:
1. Thessalonicher 5, Vers 17 (Einheitsübersetzung): Betet ohne Unterlass!Auf die Frage „wo“ gibt es eine ebenso deutliche Antwort im Gespräch Jesu mit der Frau am Brunnen,
Johannes 4, Vers 21 (Einheitsübersetzung): Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Und auch auf die dritte Frage gibt es eine eindeutige biblische Richtlinie, die dem eben vorgestellten Gebetshaus ähnelt, 1. Timotheus 2, Vers 1 bis 4 (Einheitsübersetzung): Vor allem fordere ich zu Bitten und Gebeten, zu Fürbitte und Danksagung auf, und zwar für alle Menschen, für die Herrscher und für alle, die Macht ausüben, damit wir in aller Frömmigkeit und Rechtschaffenheit ungestört und ruhig leben können. Das ist recht und gefällt Gott, unserem Retter; er will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.Trotz dieser klaren biblischen Aussagen halte ich es für wichtig, noch auf folgendes hinzuweisen.
Auch wenn wir rund um die Uhr und überall mit Gott ins Gespräch kommen dürfen, sollten wir uns:
- feste Zeiten und Verabredungen mit Gott angewöhnen
- daneben brauchen wir tatsächlich persönliche „heilige Orte“
Und es gibt nicht nur eine Form zu beten, sondern laut dem aktuellen Hauskreismagazin mindestens 50 verschiedene Formen. Auf fünf Möglichkeiten habe ich hier noch hingewiesen:
- Schweigen!
- frei und/oder mit liturgischen Gebeten!
- mit der Bibel beten!
- mit der Mitgliederliste beten!
- mit der Zeitung beten!
Eins sollten wir zum Schluss noch bewusst wahrnehmen: Gott braucht unser Gebet nicht! Aber wir brauchen das Gespräch mit dem Lebendigen wie das Atmen. Beten ist das Atemholen der Seele.