Lachen und Weinen

Letztlich gibt es eigentlich nur zwei Gründe, weshalb die Bibel bei uns Staub ansetzt: Entweder sind wir zu beschäftigt, um in der Bibel zu lesen, oder aber wir haben den Eindruck – weshalb auch immer –, es bringt nichts. Es berührt uns einfach nicht, was da steht.

Nun gibt es aber noch einen möglichen 3. Grund – weshalb die Bibel bei uns Staub ansetzten kann. Wir wollen uns nicht berühren lassen! Wir haben Angst vor den Konsequenzen und wir wissen ganz genau, wenn wir uns der Bibel stellen, werden wir irgendwann auch auf den Autor selbst treffen und wir ahnen, worüber Gott dann mit uns sprechen wird. So lassen wir lieber Staub ansetzen, als uns in Frage zu stellen.

Die Leute in Jerusalem waren zu beschäftigt, um sich auch noch mit der Bibel auseinanderzusetzen zu können.

Sie hatten eine Mauer zu bauen. Dabei braucht man Steine und Mörtel und wie wir mittlerweile auch wissen, mussten sie dabei auch noch Waffen tragen, um sich gegen ihre Feinde zu verteidigen. Für die Bibel war da kein Platz mehr. Wenn gebaut wird, staubt so manches ein, auch eine Bibel.

1. Hören auf Gottes Wort (Verse 1 bis 8)

Nehemia 8, Verse 1 bis 8 (Hoffnung für alle): Am 1. Tag des 7. Monats, als alle Israeliten wieder in ihren Städten wohnten, versammelte sich das ganze Volk auf dem Platz vor dem Wassertor. Sie baten den Schriftgelehrten Esra, das Buch mit dem Gesetz zu holen, das der Herr dem Volk Israel durch Mose gegeben hatte. Da las der Priester Esra das Gesetz vor den Männern und Frauen und vor den Kindern, die alt genug waren, um es verstehen zu können. Alle hörten aufmerksam zu, vom frühen Morgen bis zum Mittag. Esra stand auf einer Plattform aus Holz, die man eigens dafür errichtet hatte. Rechts neben ihm waren Mattitja, Schema, Anaja, Uria, Hilkija und Maaseja, links Pedaja, Mischaël, Malkija, Haschum, Haschbaddana, Secharja und Meschullam. Weil Esra einen erhöhten Platz hatte, konnten alle sehen, wie er die Buchrolle öffnete. Da stand das ganze Volk auf. Esra pries den Herrn, den großen Gott, und alle riefen mit erhobenen Händen: «Amen, Amen!» Dann warfen sie sich vor dem Herrn nieder, mit dem Gesicht zu Boden. Die Leviten Jeschua, Bani, Scherebja, Jamin, Akkub, Schabbetai, Hodija, Maaseja, Kelita, Asarja, Josabad, Hanan und Pelaja legten den Versammelten das Gesetz aus. Die vorgelesenen Abschnitte übersetzten sie aus dem Hebräischen in die aramäische Umgangssprache und erklärten das Gesetz, damit das Volk es wirklich verstehen konnte.

Nachdem die Israeliten in nur 52 Tagen die zerstörte Stadtmauer wieder aufgebaut hatten, Nehemia Torwächter einsetzte und eine Volkszählung durchführte, kehrt erst einmal Ruhe ein. Der Alltag hat sie wieder und sie beginnen wieder zu leben und zu wohnen, es sich häuslich einzurichten.

An einem Tag im September/Oktober – zur Zeit der Ernte - kommen sie alle aus ihren Häusern, um sich zu versammeln. So zwischen 30.000 und 50.000 Menschen kommen zusammen, um Esra, einen Schriftgelehrten und Priester zu hören, der ihnen das Gesetz Gottes vorlesen sollte.

14 Jahre vor Nehemia war bereits Esra nach Jerusalem zurückgekehrt. Sein Hauptanliegen war es, den Juden das Gesetz Gottes wieder nahezubringen. Als er in Jerusalem ankam, war der moralische und geistliche Zustand seines Volkes auf dem Nullpunkt und das obwohl sie gerade erst den Tempel wieder aufgebaut hatten. Genauso wenig wie der Tempel automatisch die Juden veränderte, verändern wir uns schon dadurch, dass wir eine Bibel im Regal haben.

Als Esra anfing das Wort Gottes zu lehren, begannen die Juden darauf zu hören und ihr Leben zu ändern.

Einige Jahre später kam Nehemia in Jerusalem an und motivierte die Juden zum Wiederaufbau der Mauer.

In dieser Zeit war kein Platz für die Predigten des Esra und die Bibel verstaubte.

Doch seine Arbeit war nicht umsonst gewesen. Der Dienst des Esra hatte seine Spuren bei den Juden hinterlassen und so kommt es zu diesem Tag, an dem das Volk den Priester um die Predigt bittet.

Nicht Esra holt die Leute hier zusammen. Das Volk ruft nach dem Prediger.

Und so steht er auf einer erhöhten Plattform und liest ihnen aus der Bibel vor. Links und rechts von ihm stehen 13 Männer. Esra ist nicht allein. Er steht auch nicht allein für ein Leben nach dem Wort Gottes ein. 13 Männer, wahrscheinlich Älteste und Vorsteher der Gemeinde, erklären sich solidarisch mit Esra, indem sie neben ihm und damit auch zu ihm stehen und so dem Volk sichtbar zeigen, wir stehen hier für Gott und ein Leben nach seinem Wort.

Das ganze hat zwar einen gottesdienstlichen Charakter. Aber wir befinden uns hier nicht im Tempel von Jerusalem – der bereits 70 Jahre vor dem Wiederaufbau der Mauer eingeweiht wurde, sondern mitten auf der Straße des Lebens, am Platz vor dem Wassertor, dort wo das Leben pulsiert, wo der Sonntag in den Alltag muss, wo Gott hinein will.

Dort findet dieser Gottesdienst statt. Das Volk ging nicht zur "Stunde". Es nahm sich Stunden Zeit für Gottes Wort, vom frühen Morgen bis zum Mittag. Heute nennt man so etwas eine Konferenz.

Nicht nur Esra und die Ältesten stehen. Das ganze Volk steht auf, als Esra anfängt aus der Bibel zu lesen. Der Autor wird gepriesen und alle rufen mit erhobenen Armen: "Amen". Anschließend werfen sie sich in den Staub.

Das Volk betet Gott an. Es ehrt und lobt Gott. Es demütigt sich und erniedrigt sich vor Gott.

Das ist Anbetung: Gott Komplimente machen und sich selbst Gott unterordnen. Ihn mit erhobenen Händen loben und sich vor Gott niederwerfen. Die beiden äußeren Gesten unterstreichen sichtbar die inneren Einstellungen.

Nach der Anbetung geht es in die Kleingruppen.

Die 13 namentlich erwähnten Leviten, allesamt Mitarbeiter des Esra, die er wahrscheinlich aus der babylonischen Gefangenschaft mitbrachte und mit ihm zuständig für den Gottesdienst, erklären dem Volk das Gesetz.

Es ist nicht anzunehmen, dass es 14 aufeinanderfolgende Predigten gab. Unwahrscheinlich ist auch an eine Podiumsdiskussion mit 14 Beteiligten zu denken, in der jeder seine Sicht zu einem Abschnitt des Gesetzes zum Besten gibt.

Wahrscheinlicher ist, das nachdem Esra jeweils einen Abschnitt aus dem Gesetz vorgelesen hat, die Leviten umhergegangen sind und dem Volk in Gruppen das Vorgelesene nicht nur in ihre Sprache übersetzt, sondern auch ausgelegt haben.

Das erste Ziel der Verkündigung Esras und seiner Mitarbeiter war das, das Volk verstand, was sie hörten.

Das Volk hört auf Gott und sein Wort.

Alle, die in Düsseldorf beim Willow-Creek-Kongress über geistliche Leitung dabei waren, haben gelernt, dass jeder Mensch seinen ganz persönlichen Zugang zu Gott hat, der eine eher, wenn er allein und in der Stille ist, ein anderer in Gemeinschaft und ein dritter in der Natur usw.

Ganz egal, wie auch immer unsere Beziehung zu Gott aussehen mag und was uns dabei hilft, diese Beziehung zu leben, entscheidend ist, dass sich alle Wege an der Bibel messen lassen müssen. Gott wird sich niemals anders äußeren, als er es uns schwarz auf weiß in der Bibel gesagt hat. Er wird seinem Wort niemals widersprechen! Auf sein Wort können wir uns felsenfest verlassen!

2. Betroffen von Gottes Wort (Vers 9a)

Nehemia 8, Vers 9a (Hoffnung für alle): Als die Menschen hörten, was im Gesetz stand, begannen sie zu weinen.

Es kann gefährlich sein, wenn wir den Staub wegfegen und uns der Bibel stellen. Denn dieses Buch wird uns nicht kaltlassen. Es fordert uns heraus, auch unsere Gefühle.

Die Menschen weinen, nachdem sie hören und verstehen. Es fällt ihnen wie Schuppen von den Augen. Sie erschrecken, weil sie merken so wie sie leben, leben sie nicht. Sie leben nicht nach dem, was Gott von ihnen möchte. Sie haben sich leben lassen.

In der Westdeutschen Zeitung vom 16 Februar 1998 konnte man auf Seite 16 lesen: "Tränen sind die Waschanlage unserer Seele" - Weinen ist gesund: Die Oberfläche des Organs wird feucht und sauber gehalten, Bakterien und Viren werden getötet.

Bei der Untersuchung der Tränenflüssigkeit stießen die Wissenschaftler zunächst auf Bestandteile mit keimtötender Wirkung. Solche Substanzen sind allerdings auch im Speichel enthalten, und es leuchtet deshalb nicht auf Anhieb ein, wofür ein Mensch ,,Rotz und Wasser" braucht, was schon mit ,,Spucke" allein zu erledigen wäre.

US- Biochemiker William H. Frey (Minnesota) konnte schließlich in der Tränenflüssigkeit das Hormon Prolaktin isolieren, das unter anderem bei Gefahr oder Erregung produziert wird. Und er konnte nachweisen, daß Tränen, die aus Kummer und Rührung vergossen werden, mehr Prolaktin enthalten, als Tränen, die beim Zwiebel-Schneiden entstehen.

Die Vermutung liegt nahe, daß ein Unterdrücken des aufsteigenden Impulses zum Weinen der Gesundheit schadet.

Interessant, nicht wahr!

Jetzt und hier mittags vor dem Wassertor fließen also gesunde Tränen.

Es geht nicht um die Tränen. Es geht um unseren Gehorsam! Es geht darum, dass ich mich seinem Wort stelle und es zulasse, dass ich auch emotional auf sein Wort reagiere. Schließlich hat der Autor und Schöpfer dieser Welt mir nun einmal Gefühle geschenkt.

3. Freude an Gott selbst (Verse 9b bis 12)

Nehemia 8, Verse 9b bis 12 (Hoffnung für alle): Aber der Statthalter Nehemia, der Priester und Schriftgelehrte Esra und die Leviten, die das Gesetz auslegten, ermutigten sie: «Seid nicht traurig und weint nicht! Heute ist ein Festtag; er gehört dem Herrn, eurem Gott!

Und nun geht nach Hause, eßt und trinkt! Bereitet euch ein Festmahl zu und feiert! Gebt auch denen etwas, die sich ein solches Mahl nicht leisten können! Dieser Tag gehört unserem Gott. Laßt den Mut nicht sinken, denn die Freude am Herrn gibt euch Kraft!» Auch die Leviten beruhigten das Volk und sagten: «Seid nicht traurig, denn dieser Tag gehört Gott!» Da gingen die Versammelten nach Hause und feierten ein großes Freudenfest. Sie aßen und tranken und teilten mit denen, die selbst nichts besaßen, denn sie hatten verstanden, was man ihnen verkündet hatte.

Weshalb nutzen Esra und seine Mitarbeiter nicht die Gunst der Stunde – eine heulende Gemeinde – und schicken die Leute nach Hause?

Das riecht doch nach Erweckung: Tausende heulende Frauen und Kinder und dann auch noch gestandene, heulende, knallharte Jungs.

Weshalb bloß schickt Esra die Leute nach Hause?

Nun es war schon Mittagszeit. Tränen sind eine Sache. Knurrende Mägen eine ganz andere.

Aber der wirkliche Grund ist der, dass Gefühle zwar gut und wichtig sind, aber für weit reichende Entscheidungen allein nicht ausreichen. Es kommt auf unser Herz an, auf unseren Willen. Das wir mit ganzem Herzen und nicht nur gefühlsmäßig oder situationsbedingt etwas tun, sondern uns bewusst und willentlich für das Richtige entscheiden!

In Nehemia 8 entdecken wir diese wichtige Reihenfolge für unseren Umgang mit der Bibel:

  1. intellektuell: hören und verstehen
  2. emotional: Trauer und Freude
  3. willentlich: Das finden wir ab Vers 13, wo die Israeliten gemäß den Anweisungen des Gesetzes das Laubhüttenfest wieder einsetzen.

Trauer allein bleibt unfruchtbar. Die Tränen haben Judas nicht zur Besinnung, sondern ums Leben gebracht.

Auch Petrus musste weinen. Aber er erstickte nicht am Selbstmitleid, sondern er sah Jesus in die Augen und kam zur Besinnung.

Manchmal müssen Tränen fließen. Aber Trauer allein bleibt unfruchtbar. Deshalb ruft Esra das Volk zur Freude auf und hier haben wir den bekanntesten Vers des Nehemia-Buches: Macht euch keine Sorgen; denn die Freude am Herrn ist eure Stärke.

Die Freude – von der Esra redet – besteht nicht nur in dem, was Gott uns schenkt, sondern vor allem in Gott selbst.

Esra lädt das Volk ein Gott zu feiern. Schaut Gott an und begreift wer er ist. Feiert Gott und genießt das Leben! Nicht die Freude an den Gaben, sondern an dem Geber aller guten Gaben bewirkt Kraft und Stärke, ist wie ein Schutz für unser Herz.

Esra lädt die weinende Gemeinde ein, wie Petrus Jesus anzuschauen.

Daneben fordert er sie auf, zu essen und zu trinken und zu teilen. Der 1. Schritt in eine neue Zukunft. Der 2. Schritt wird am nächsten Tag getan, die Einsetzung des Laubhüttenfestes, leben nach den vorgeschriebenen Gedenk- und Erinnerungstagen, der Erinnerung an die Flucht aus Ägypten.

Und waren nicht die meisten von ihnen gerader erst aus dem babylonischen Exil gekommen?

Kann ich mich wirklich über Gott freuen?

In diesem Kapitel überläßt Nehemia, der Statthalter und Baumeister dem Priester und Schriftgelehrten Esra das Feld. Denn Nehemia weiß, wenn dem äußeren Wiederaufbau der Mauer nicht auch der innere und geistliche Aufbau der Menschen folgt, wird die Stadtmauer bald wieder Risse haben.

Der Autor des Bestsellers "Der Minuten – Manager" Ken Blanchard hat uns in Düsseldorf erzählt, das er erst als er Christ geworden ist, begriffen hat, dass alles auf das Herz ankommt. Äußere Veränderungen ohne Veränderung des Herzens führen nirgendwohin.

Deshalb ist nach dem äußeren Mauerbau die innere Veränderung dran.

Für viele Menschen, sind wir die einzige Bibel, die sie jemals lesen werden! Ob sie an uns ablesen können, wer unser Autor ist hängt davon ab, wie wir selbst mit der Bibel umgehen: Jetzt und hier in einem Gottesdienst, im Hauskreis oder beim Lesen in der Bibel ganz allein:

Das setzt Offenheit voraus. Es geht bei der Bibel nicht um Kochrezepte oder nette Geschichten. Es geht um Alles oder Nichts, es geht um Tod oder Leben, es geht um unser Leben. Und es geht um unsere Beziehungen, zu Gott, zueinander und zu anderen. Es geht tatsächlich um Alles!



Krefeld, den 19. November 2000
Pastor Siegfried Ochs



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