Schweigen des Petrus

Seit dem Hahnenschrei ist es erschreckend still um Petrus geworden. Bis zum Ostermorgen finden wir über ihn kein einziges Wort in den Berichten des Neuen Testamentes.

Er ist mit den anderen Jüngern von der Bildfläche verschwunden: enttäuscht, verwirrt, verängstigt und sicherlich auch über sich selbst zutiefst erschrocken und entsetzt. Wie steht er nun da? Der große Petrus? Der Felsenmann? Was ist aus all seinen großen Worten und Versprechen geworden? Was haben seine Taten noch für ein Gewicht?

Nichts - nichts lässt sich ungeschehen machen und kein einziges Wort kann man je zurückholen!

So bleiben ihm nur die Tränen, die Scham, die Traurigkeit und die grausame furchtbare Erkenntnis: Jesus ist tot, gekreuzigt, gestorben und begraben. Es ist alles aus und vorbei. Mit seinem Herrn wurden auch alle seine Hoffnungen begraben. Die Hoffnung Israels wurde ausgelöscht und damit auch sein Lebensmut.

Alles was bleibt, sind seine Fragen: „Warum?“ „Wozu das alles?“ „Was soll jetzt werden?“ „Was hatte das alles für einen Sinn – diese drei Jahre?“ „Warum?“

Nur in den Berichten von Lukas und Johannes über diesen Ostermorgen taucht Petrus langsam wieder auf, Johannes 20, Vers 1 bis 10 (Einheitsübersetzung): Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab und sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war. Da lief sie schnell zu Simon Petrus und dem Jünger, den Jesus liebte, und sagte zu ihnen: Man hat den Herrn aus dem Grab weggenommen, und wir wissen nicht, wohin man ihn gelegt hat.

Da gingen Petrus und der andere Jünger hinaus und kamen zum Grab; sie liefen beide zusammen dorthin, aber weil der andere Jünger schneller war als Petrus, kam er als Erster ans Grab. Er beugte sich vor und sah die Leinenbinden liegen, ging aber nicht hinein.

Da kam auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war, und ging in das Grab hinein. Er sah die Leinenbinden liegen und das Schweißtuch, das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle.

Da ging auch der andere Jünger, der zuerst an das Grab gekommen war, hinein; er sah und glaubte. Denn sie wussten noch nicht aus der Schrift, dass er von den Toten auferstehen musste.

Dann kehrten die Jünger wieder nach Hause zurück.

Petrus erscheint in den Osterberichten erschreckend wortkarg. Genau genommen sagt er nur einen einzigen Satz – drei Worte - bis Jesus ihn persönlich und allein sprechen wird: „Ich gehe fischen!“ (Johannes 21, Vers 3).

Scheinbar ein ganz anderer Petrus. Geläutert? Schwach? Zumindest hören wir keine vorschnellen Worte mehr von ihm, und sein Tatendrang und seine Selbstsicherheit scheinen verflogen zu sein.

Bis auf diese drei Worte bleibt Petrus stumm.

So dämmert der Morgen heran, der alles verändert und auf den Kopf stellen wird. Nach dem Sonnenaufgang ist nichts mehr wie es war.

Alles beginnt mit einem Stein und nicht mit siegreicher Glaubensgewissheit! Johannes 20, Vers 1: Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab und sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war.

Der Stein ist weg. Und um diesen Stein drehte sich die Frage der Frauen frühmorgens auf dem Weg zum Friedhof: Wie bekommen wir diesen Stein weg? Und dann ist da kein Stein mehr vor dem Grabeingang und der Weg ist frei.

Mit welchen Steinen sind wir gekommen? Wo müssen bei uns Steine weggerückt werden, damit wir glauben können? Damit wir froh und frei werden können, und nicht nur staunend ein leeres Grab bewundern, sondern Jesus sehen?

Um ihm wirklich vertrauen zu können - nicht nur heute und hier, sondern alle Tage, auch und gerade an den Tagen, an denen unsere Gefühle nicht mitspielen, unsere Erfahrungen uns etwas anderes sagen und unser Verstand uns im Wege steht – müssen die Steine weg! Welche Steine halten uns noch vom Glauben ab? Welche Steine liegen immer noch schwer auf unserem Herzen?

Wir kriegen nur selten die Steine alleine weg, aber wir dürfen dem, der sogar mit dem Tod fertig wurde, dem Auferstandenen, unsere Steine bringen, damit unser Herz für ihn frei wird.



Mögliche Aktion:

An dieser Stelle würde die Möglichkeit bestehen, dass die Gottesdienstbesucher einen Stein nehmen und ihn symbolhaft am Kreuz ablegen können. Als Zeichen dafür, dass sie ihre „Steine“ jetzt dem Herrn überlassen, um frei und froh in diesen Ostertag zu gehen.

Die „Steine“ können symbolhaft für Sorgen oder Ängste stehen, für einen schweren Weg oder für offene Fragen.



Nachdem der Stein vor dem Grab weg ist, nimmt das Ungeheuerliche und Undenkbare, das Unfassbare seinen Lauf. So starten Petrus und Johannes geradezu einen Wettlauf zur Grabesstätte ohne Leichnam. Sie sehen das leere Grab, die Leinenbinden und das Schweißtuch, aber sie sehen Jesus nicht. Sie sehen nur ein leeres unverschlossenes Grab.

Zaghaft – fast kleinmütig – wird vom aufkeimenden Glauben des Johannes berichtet. Für ihn scheint das leere Grab zu reichen, um das Wunder der Auferstehung zu erahnen. Damit wird deutlich, dass es keinesfalls unwichtig ist – wie uns manche scheinbar noch so klugen Leute einreden wollen – ob das Grab nun leer oder voll war. Das es auch nicht unwichtig ist, ob Jesus tatsächlich und buchstäblich, historisch und leibhaftig von den Toten auferstanden ist, oder doch nur in der Erinnerung seiner Nachfolger weiterlebte. Ohne das leere Grab, ohne die leibhaftige Auferstehung Jesu von den Toten bleibt Ostern nur ein schöner Traum, und nichts womit man leben und vor allen Dingen sterben könnte.

Johannes erahnt die Auferstehung. Doch vorerst reicht ihm das leere Grab.

Petrus bleibt dagegen stumm, äußerlich und innerlich. Er schaut sich um, sieht nur die Binden und schweigt. Johannes merkt dazu an, Johannes 20, Vers 9 (Gute Nachricht): sie hatten die Heiligen Schriften noch nicht verstanden, in denen doch steht, dass Jesus vom Tod auferstehen muss.

Auch für den, der das leere Grab nicht mit eigenen Augen sehen konnte, bleiben die Hinweise in den Heiligen Schriften, Psalm 16, Vers 10 bis 11 (Hoffnung für alle): Denn du wirst mich nicht dem Tod und der Verwesung überlassen, ich gehöre ja zu dir. Du zeigst mir den Weg, der zum Leben führt. Du beschenkst mich mit Freude, denn du bist bei mir. und Jesaja 53, Vers 10 bis 11 (Hoffnung für alle): Wenn er mit seinem Leben für die Schuld der anderen bezahlt hat, wird er Nachkommen haben. Er wird weiterleben und den Plan des Herrn ausführen. Wenn er dieses schwere Leid durchgestanden hat, sieht er wieder das Licht und wird für sein Leiden belohnt.

Immer wieder hat ER es ihnen gesagt auf ihren Weg nach Jerusalem (Markus 8, 31 – 33; 9, 30 – 32; 10, 32 bis 34) zuletzt nach diesem ganz besonderen Abend, seinem letzten Abend, Markus 14, Vers 28 (Einheitsübersetzung): Aber nach meiner Auferstehung werde ich euch nach Galiläa vorausgehen.

Nach dem Paralleltext von Lukas halten die elf Jünger die Nachricht von der Auferstehung erst einmal für leeres, albernes Frauengeschwätz, Lukas 24, Verse 11 bis 12 (Einheitsübersetzung): Doch die Apostel hielten das alles für Geschwätz und glaubten ihnen nicht. Petrus aber stand auf und lief zum Grab. Er beugte sich vor, sah aber nur die Leinenbinden (dort liegen). Dann ging er nach Hause, voll Verwunderung über das, was geschehen war.

Petrus wundert sich nur und staunt. Aber er sagt zunächst kein Wort. Doch die Worte, die er dann später sagt, sprechen Bände: „Ich gehe fischen!“ (Johannes 21, Vers 3). Das leere Grab reicht Petrus nicht. Auch das, nach dem Bericht des Johannes, so seltsam zusammengelegte Schweißtuch Jesu, bewirkt keinen Glauben. Weder eine Wallfahrt zur Grabesstätte, noch das Grabtuch ersetzen die persönliche Begegnung mit dem Auferstandenen. Auch der Osterglaube der Frauen wirkt nicht automatisch ansteckend und fördert den eigenen Glauben.

Das Petrus nach der Sache mit dem Hahnenschrei nicht abgeschrieben ist, wird in dem Bericht nach Markus ganz deutlich, Markus 16, Vers 7 (Einheitsübersetzung): Nun aber geht und sagt seinen Jüngern, vor allem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat. Der himmlische Bote schickt die Frauen am Ostermorgen zurück zu den Elfen mit dem ausdrücklichen Hinweis an Petrus: Sagt das vor allem Petrus!

Und Petrus hört und sieht und - schweigt! Es ist immer tragisch, wenn starke Männer nur noch schweigen! Ostern hat Petrus nichts mehr zu sagen. Er wirkt in allen Berichten wie ein Zuschauer, ganz anders als wir ihn kennen: schweigsam, passiv und nach dem einzigen Satz (Ich gehe fischen), den er von sich gibt, auch depressiv.

Petrus, was beschäftigt dich? Was geht wohl in deinem Kopf vor? Verstehst du denn das alles nicht? Du warst doch dabei! Du hast Jesus doch gehört, hast ihn reden gehört von seinem Tod und eben auch von seiner Auferstehung, vom leeren Grab, von dem, was die Frauen sagen. Weshalb reicht dir das nicht?

Warum ist dein Blick noch so starr? Da ist immer noch kein Glanz in deinen Augen. Du gehst immer noch gebeugt und viel langsamer als sonst. Weshalb quälst du dich denn noch? Es ist doch vorbei! Der Tod ist brüchig geworden. Das Grab ist gesprengt und Dein Herr lebt. Weshalb glaubst du das denn nicht? Was muss denn noch geschehen?

Oder tust du dir nur selber leid? Denkst du vielleicht gar nicht an IHN, sondern nur an dich? Geht es dir um deinen guten Ruf, um Dein Ansehen, um deine Rolle und deinen Einfluss im Jüngerkreis? Hast du vielleicht sogar Angst IHM zu begegnen? Angst, vor seinen Fragen, vor seinem: „Ich hab’s dir doch gesagt!“ Petrus, was ist mit dir?



Krefeld, den 27. März 2005
Pastor Siegfried Ochs



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