Weihnachten stellt die Welt auf den Kopf

Manchmal leiste ich mir den Luxus zweier Tageszeitungen, besonders an Weihnachten.

So war ich ganz begeistert über die Titelgeschichte der Westdeutschen Zeitung: „Der Zauber einer alten Geschichte“. Dreiviertel der Seite 1 war dem Weihnachtsevangelium gewidmet, das laut einer aktuellen Umfrage immerhin noch 88% aller Deutschen kennen. Auf Seite 6 konnte man sein biblisches Wissen über die Weihnachtsgeschichte gleich selbst testen. Daneben irritierte mich die Ausgabe der Rheinischen Post mit ihrer „Himmlischen Weihnachtspost an das Christkind in Engelskirchen!“

Verrückte Welt! Die Zeitung für Politik und christliche Kultur hält Kinderwünsche an das Christkind für die Topnachricht von Weihnachten und die erklärte „unabhängige, kritische und überparteiliche“ Westdeutsche Zeitung bringt die eigentliche Geschichte auf der ersten Seite.

Verrückte Welt! Da sitzen in Jerusalem die Schriftgelehrten und Theologen bei diesem eilends einberufenen Kongress in einer Nacht- und Nebelaktion zusammen, weil die Frage der Weisen aus dem Morgenland dem Herodes in die Knochen gefahren ist, und dieser machtversessene König gibt die Frage an seine bibelfeste Geistlichkeit weiter: „Wo soll der Messias geboren werden?“ Matthäus 2, Vers 5 bis 6 (Einheitsübersetzung): Sie antworteten ihm: In Betlehem in Judäa; denn so steht es bei dem Propheten: Du, Bethlehem im Gebiet von Juda, bist keineswegs die unbedeutendste unter den führenden Städten von Juda; denn aus dir wird ein Fürst hervorgehen, der Hirt meines Volkes Israel.

Doch statt sich mit den heidnischen Sterndeutern auf den Weg nach Bethlehem zu machen, klappen sie lediglich ihre Bibel wieder zu und bleiben auf ihren Stühlen sitzen.

Verrückte Welt! Die Frommen kennen die Wahrheit, aber die Heiden beten das Kind an.

Kurz vor Weihnachten hatte ich ein Gespräch mit einem Vertreter der römisch-katholischen Amtskirche. In Wahrheit war es eher ein Monolog als ein Gespräch, weil meine Stimme nämlich noch schlechter war als jetzt, hörte ich mehr zu, als dass ich etwas darauf antworten konnte. Er sagte mir: „Wir müssen viel klarer und deutlicher von unserem Glauben sprechen, vom Eigentlichen, mit einfachen klaren biblischen Worten. Wir haben die einfache Botschaft von Jesus mit Maria und all den Heiligen zugebaut und haben damit vom Kern und vom Eigentlichen abgelenkt. Vor Jahren bekam ich noch richtig Ärger und erntete Unverständnis, wenn ich Karten mit „gesegneten Weihnachtsgrüßen“ verschickte. Doch ich habe begriffen, was die Menschen wirklich brauchen, sind nicht billige Vertröstungen, allgemeine Phrasen, sondern geistlich gefüllte Worte.“

Verrückte Welt! Da kehrt ein Kirchenmann zum einfachen Evangelium zurück und will sich nicht mehr dafür schämen, weil er die Kraft und Macht der Worte Gottes entdeckt hat.

Weihnachten stellt die Welt auf den Kopf. Damals wie heute. Die Welt von Maria und Josef geriet aus den Fugen. Aber auch die Welt der Mächtigen, von Herodes bis zu Pilatus. Und die Welt der so genannten kleinen Leute, der Hirten und vor allen Dingen der Fischer, der späteren Jünger Jesu.

Und alles hängt an diesem Kind von Bethlehm, dem Mann vom Kreuz, dem Gottes- und dem Menschensohn, der uns Weihnachten nicht nur wie ein fremder, ferner Verwandter kurz mal am ersten Feiertag besuchte, sondern sich regelrecht einmischte in unsere Welt, ja sie geradezu auf den Kopf stellte und die Liebe und nicht das Geld, zur größten Macht der Welt erklärte. Nein, Jesus kam nicht nur mal kurz zu Weihnachten auf einen Besuch vorbei, vom Himmel hoch zur Erde runter, um mal nach dem Rechten zu sehen und uns alle an Gott zu erinnern. Er gab sich ganz und gar hinein in diese seine Welt, in unser Leben. Weihnachten veränderte nicht nur diese Welt, die Menschen von damals und jeden, der sich heute auf diese alte Geschichte von damals mit offenem Herzen und wachem Verstand einlässt, Weihnachten veränderte den Sohn Gottes!

Verrückte Welt! Der Schöpfer wurde Geschöpf. Gott verließ seine Unendlichkeit und wurde sterblich wie wir. Das Wort ist Fleisch geworden. Gott theoretisierte nicht darüber, wie es ist, ein Mensch zu werden, er kam als Mensch, als Kind in der Krippe zu uns. Das meint Paulus, wenn er im Christushymnus schreibt, Philipper 2, Vers 6 bis 8 (Einheitsübersetzung): Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.

Ich glaube, man muss es so zugespitzt formulieren: Weihnachten hat Gott verändert! Die Geburt im Stall von Bethlehem war ja eben nicht der Lebensbeginn von Jesus Christus, sondern seine Inkarnation, seine Menschwerdung. So wie Gott ohne Anfang und Ende ist, so auch Jesus. Auf den ersten Seiten der Bibel finden wir diesen wichtigen Hinweis, wenn es im Buch Genesis heißt, 1. Mose 1, Vers 26 (Einheitsübersetzung): Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Ein zweiter deutlicher Hinweis auf die Existenz Jesu vor seiner Geburt finden wir überall dort im Alten Testament, wo der Engel des Herrn mit bestimmten Artikel genannt wird. Im neuen Testament gibt es den Engel des Herrn mehr.

Weihnachten stellt die Welt auf den Kopf, lässt Gott Mensch werden. Gott gibt alles auf, um sich uns selbst ganz und gar in Jesus zu schenken. Seine Liebe treibt ihn nicht nur nach Bethlehem, sondern buchstäblich ans Kreuz. Deshalb ist es gut an Weihnachten, Abendmahl zu feiern. Denn Krippe und Kreuz sind aus einem Holz geschnitzt, damit wir nicht nur sehen, sondern schmecken, wie unendlich und unvorstellbar kostbar wir dem Schöpfer der Welt und dem Erfinder des Lebens sind.

Weihnachten hat alles auf den Kopf gestellt. Hanns Dieter Hüsch hat es in einem seiner Texte so auf den Punkt gebracht: Große Freude ist uns verkündigt worden, soll in uns Leben, Erbarmen und Zuversicht werden, uns begleiten. Christus ist unter uns, urjung und uralt, Freiheit und Erlösung als Geschenk. Amen.

© aus „Das kleine Weihnachtsbuch von Hanns Dieter Hüsch, tvd-Verlag, Seite 44



Krefeld, den 26. Dezember 2005
Pastor Siegfried Ochs



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